"Ihr könnt mir alle..."
03.03.2010 - Maradonas Fehde mit der Presse
Seitdem Maradona die Geschicke der Selección leitet, dreht sich fast jeder Artikel über nur noch um ihn. Grund sind seine ständigen Eskapaden. Doch steckt hinter ihnen eine Absicht?
von Christian Piarowski
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Allmählich wird es langweilig. Seitdem Diego Maradona als Trainer die Geschicke der argentinischen Nationalmannschaft leitet, dreht sich nahezu jeder Artikel über die »Selección« nur noch um ihn, um el D10S, el Dieguito, um den Goldjungen oder wie er sonst noch genannt wird. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen sorgt Maradona wie kein Zweiter regelmäßig für Schlagzeilen.
Jedes anstehende Länderspiel verspricht eine neue Anekdote in der bereits beträchtlich langen Liste an Skurrilitäten, die seinen Weg als Nationaltrainer bisher begleiteten. Zum anderen haben seine über 100 Nominierungen in nur eineinhalb Jahren Amtszeit sowie die ständig wechselnden Aufstellungen und taktischen Marschrouten dazu geführt, dass derzeit nicht einmal die gewieftesten Analytiker ein Profil des argentinischen Teams zeichnen können. Niemand kennt derzeit das wahre Gesicht der »Selección«, obwohl Spieler wie Barcelonas Lionel Messi oder Real Madrids Gonzalo Higuain zu den bekanntesten Spielern auf dem Planeten gehören. Es lassen sich also derzeit kaum Seiten füllen mit Analysen über das Spielsystem der Argentinier oder deren Philosophie - denn es gibt derartiges nicht.
Dies gibt Diego Maradona scheinbar unumwunden zu. »Ich mische die Philosophie von Cesar Menotti von 1978 mit der von Carlos Bilardo von 1986«, ließ Maradona in München verlauten. Übersetzt man dies aus dem Maradonianischen ins Deutsche bedeutet das: "Meine Philosophie ist die, Weltmeister zu werden. Zu gewinnen." Vorwürfe, dass dies ohne ein Konzept, ohne ein Spielsystem nicht funktioniert, kontert Maradona lapidar, fast im gleichen Atemzuge. »Ein Trainer hat wenig Einfluss auf das Spiel, die Spieler gewinnen die Partie.« Frei übersetzt heißt dies wiederum: -Ich brauche meinen Jungs nicht das Fußballspielen beibringen. Das können die, schließlich zählen sie in Europas Eliteligen zu den Besten.-
Maradona ist sicher, dass die richtige Spieltaktik sich schon noch finden wird, nämlich dann, wenn die Mannschaft im WM-Quartier von Pretoria zum ersten Mal länger als sieben Tag am Stück zusammen sein wird. Bis dahin sieht er seine Arbeit vor allem im mentalen Bereich. Denn der 49-Jährige meint erkannt zu haben, was den Argentiniern seit 1986 fehlte: die Siegermentalität. So perfekt eingespielt und eingestellt wie Jose Pekermanns Kader zur WM 2006 war wohl kaum eine argentinische Elf zuvor gewesen. Und dennoch reichte es damals nicht gegen eine deutsche Mannschaft, die bereits am Boden lag, die bereits besiegt war und die von den Argentiniern kontrolliert wurde.
Gelernt hatten sie daraus nichts. Nur ein Jahr später wiederholte die Seleccion die Geschehnisse der WM 2006 bei der Copa America in Venezuela. Wie in Deutschland brillierten die Argentinier zunächst in der Vorrunde, spielten die Gegner nach Belieben an die Wand und kamen schließlich locker ins Finale. Doch dort unterlagen sie einer brasilianischen Selecao, die sich mit einer B-Elf mehr schlecht als recht durch das Turnier gequält hatte. Im Finale war nichts zu sehen gewesen von der Brillanz der vorherigen Spiele, Messi und Tevez blieben blass. Wie in Deutschland scheiterten die Argentinier an sich selbst und an einem Gegner, der einfach mental stärker war.
»Ich habe die Tränen der Mascheranos, der Batistutas satt...«
Dies ist, was Maradona ändern will. Bereits 2006 auf dem Heimweg nach der Pleite von Berlin gestand er im Flieger Journalisten: »Ich habe die Tränen der Mascheranos, der Batistutas satt... Ich will Weltmeister werden!« In München verlangte er nun nach neuen Helden. Er wünsche sich, dass die Argentinier nicht mehr vom Triumph von 1986 leben. Man solle aufhören, ständig die Szenen von Kempes 1978 und Maradona 1986 zu zeigen. »Das sei alles sehr schön gewesen, aber Vergangenheit.« Diese Worte, die zwischen den klischeehaften Lobeshymnen über die Tugenden der deutschen Mannschaft beinah untergingen, bedeuten nichts weniger als die radikale Forderung nach einem mentalen Umdenken im Land des Tangos, wo man gerne zu Melancholie und Nostalgie neigt.
Um diese Siegermentalität zu schüren, suchte Maradona für sich und seine Spieler einen gemeinsamen Feind und er fand ihn in der Presse. Das hat vor ihm bereits Bilardo getan, der vor und während der WM in Mexico von heimischen Journalisten für die Spielweise der Seleccion kritisiert wurde. Niemand rechnete damals mit einem Erfolg der Argentinier, zum Trauer der Deutschen gewannen diese dennoch den Titel - auch dank eines überragenden Maradonas. Und dieser schlägt nun die gleiche Taktik ein wie sein damaliger Trainer, auch wenn sich beide mittlerweile eher meiden statt gemeinsam zu arbeiten. »Die Presse glaubt wir werden Letzter und das macht uns stark«, polterte Maradona in München.
Der Plan von D10S
Doch wirft man einen Blick in die argentinischen Medien kann davon keineswegs die Rede sein. Zwar gibt es Kritik an den Entscheidungen Maradonas und Zweifel an seinen Fähigkeiten als Nationaltrainer bereits seit dem peinlichen 1:6 in Bolivien, allerdings fehlt von einer Hetzkampagne gegen ihn oder die Mannschaft jede Spur. Man geht stattdessen durchaus davon aus, dass die Seleccion die Vorrunde überstehe, dafür seien die Gruppengegner nicht stark genug, heißt es etwa im Diario Ole.
Bezüglich weiterer Spekulationen hält man sich allerdings bedeckt. Mittlerweile sind die Fußballexperten sogar durchaus geneigt, hinter den Eskapaden Maradonas eine Taktik zu erkennen. Ein Ablenkugnsmanöver etwa, das die Aufmerksamkeit von der Mannschaft lenkt. Dass Spieler, sobald sie das Trikot der Nationalmannschaft überstreifen, die Presse meiden und selbst im Fahrstuhl des Mannschaftsquartiers die Journalisten frostig behandeln, sieht man daher sogar als positives Zeichen. Irgendwie zeigt es doch, dass Diego seine Spieler erreicht und überzeugen kann.
Zweckoptimismus nennt man das. Was anderes bleibt auch kaum, denn das Sportliche bot bislang keinem seriösen Analytiker Hoffnung auf einen positiven Ausgang der WM. So wagt auch niemand konkret vorauszusagen, was heute Abend beim Freundschaftsspiel gegen Deutschland passieren könnte. Irgendwie glaubt man an einen Sieg, irgendwie befürchtet man eine hohe Niederlage. Denn wozu die argentinische Nationalelf in der Lage ist, das weiß derzeit wohl niemand. Nur eines ist gewiss: ganz egal wie das Spiel ausgeht, am Ende werden die Schlagzeilen wieder nur einem gehören. Nämlcih Diego Maradona, der wohl einzige Nationaltrainer, der ein Training auch mal mit Zigarre leitet.